Warum “Querwechsler*innen” die Verwaltung nicht retten werden

Lilith Wittmann
3 min readSep 29, 2020

Heute wurde im Handelsblatt der Aufruf “Mehr Querwechsler*innen für die Verwaltung!” vorgestellt. Eine von verschiedensten Persönlichkeiten mitgezeichnete Initiative, der eine Reihe von Maßnahmen fordert, die dazu führen sollen, dass “mehr Führungskräfte mit “frischem Denken und hoher Umsetzungskompetenz” aus der Wirtschaft in die öffentliche Verwaltung wechseln.

Aber Querwechsler, das klingt doch erstmal gut, oder?

Grundsätzlich sind andere Perspektiven und Lebensrealitäten in der Verwaltung natürlich super. Allerdings stelle ich mir an dieser Stelle die Frage, ob wir als Gesellschaft in der öffentlichen Verwaltung wirklich die klassischen Führungspersönlichkeiten aus der Privatwirtschaft benötigen, die hier anscheinend gesucht werden oder ob nicht Menschen mit gänzlich anderen Erfahrungen benötigt würden. Beziehungsweise ergibt sich daraus die ganz grundlegende Frage, ob die Art und Weise wie die Privatwirtschaft funktioniert, wirklich das Konzept ist, wie auch die öffentliche Verwaltung funktionieren sollte. Mit all den Vor- und Nachteilen dieser Arbeitsmodelle.

Im Aufruf wird davon gesprochen, das diese potenziellen Führungskräfte aus der Privatwirtschaft sich “unpolitisch” engagieren wollen. Ich verstehe nicht, was unpolitisch mir an dieser Stelle sagen soll? Zu behaupten die Arbeit in der Bundesverwaltung sei “unpolitisch” ist aus meiner Perspektive völliger Quatsch. Ich kann mir momentan kaum einen Ort vorstellen, an dem politischer gearbeitet wird und an dem die politischen Positionen der Vorgesetzten mehr zählen als die gute Idee oder das wissenschaftlich Sinnvolle. Es ist insbesondere deshalb aus meiner Sicht absurd, weil im nächsten Satz des Aufrufs von der “Innovations- und Gestaltungskompetenz” gesprochen wird, die der Verwaltung momentan verloren gingen, weil sie nicht mit diesen Menschen arbeitet. Wie kann jemand denn in einem politischen Raum “unpolitisch” etwas gestalten?

Menschenbild

Unter Umständen sind die oben genannten Fragen bei den Author*innen nicht aufgekommen, weil sie bei diesem Thema eine komplett andere Zielgruppe — andere Menschen — als Querwechsler*innen vor Augen hatten als ich, wenn ich über das Thema spreche. Für mich wären die idealen Querwechsler*innen nicht die ambitionierten Consultants, die bisher bei einer big4 Beratungsfirma einem Partner zugearbeitet haben und jetzt, nachdem sie da vielleicht sowieso schon in der Public-Sektor-Beratung tätig waren, gänzlich in die öffentliche Verwaltung wechseln wollen. Ich glaube, die kämen nur aufgrund der Anreize, wegen denen sie jetzt auch schon bei McKinsey und co sind. Die helfen uns aber in der Gesellschaft eher wenig. Ich glaube es fehlen uns in der Verwaltung die Idealist*innen. Menschen, die momentan bei einem Social-Impact-Startup, bei einer NGO, … arbeiten oder sonst irgendwie die Welt verbessern wollen. Die Fachexpert*innen in den verschiedensten Bereichen sind und der Politik helfen können, gute statt politisch genehme Entscheidungen zu treffen und umzusetzen

Diese Menschen zu erreichen, dabei hilft uns allerdings weder besseres Marketing (Punkt 1) noch eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Politik (Punkt 2). Und auch die anderen Punkte in der Erklärung schlagen eher kleine Maßnahmen wie eine Beamt*innenausbildung, die mehr auf lebenslanges Lernen ausgelegt ist und mehr Raum für neue Ideen vor.

Raum für echte Veränderung schaffen

Der Strukturwandel, der nötig wäre, um kreative und passionierte Menschen für die Verwaltung gewinnen zu können, wird dabei geradezu bewusst übersehen. Er wird übersehen, weil er nicht mit einer kleinen iterativen Verbesserung, mit keinen Maßnahmen, die niemanden wehtun, wie ein bisschen Marketing und etwas mehr Diversität zu erreichen ist.

Wir stehen heute an dem Punkt, wo sich die Verwaltung überlegen kann, ob sie Digitalisierung als gesellschaftlichen Wandel mitgestalten oder über sich ergehen lassen will. Wenn sie ihn mitgestalten will, dann benötigt sie komplett neue Konzepte, wie Bürokratie und politische Gestaltung funktionieren sollen. Wir brauchen neue Hierarchiestrukturen und neue Konzepte, über die Bedürfnisse von Bürger*innen nachzudenken. Wenn diese grundsätzlichen Probleme angegangen würden, würde sich das momentane Personalproblem quasi von selbst lösen. Denn die Menschen, die wir brauchen, wollen keinen cool vermarkteten Job, sondern sie wollen in ihrer Arbeit wirklich gestalten können.

Die Digitalisierung als mehr als eine kleine Veränderung der Arbeitswelt zu sehen, das wurde in der “Querwechsler*innen”-Erklärung vergessen.

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