Transparenz, Hierarchien und die Verwaltung

Lilith Wittmann
12 min readSep 3, 2020

Ich hatte in den letzten 3 Monaten das Privileg, die Bundesverwaltung im Rahmen des Programmes work4germany kennenzulernen. In der nächsten Zeit habe ich mir vorgenommen, über einige meiner Erkenntnisse zu schreiben.

Nachdem ich mich in meinem Beitrag der vorletzten Woche mit der neuen Arbeit im Kontext der Verwaltung und wie vielfältig die Bereiche, die mit ihr zusammenhängen würden beschäftigte, möchte ich mich heute mit einem sehr konkreten und für die neue Arbeit in der Verwaltung wichtigen Punkt auseinandersetzen — dem Abbau der Hierachien und warum dafür Transparenz der Verwaltung gegenüber der Zivilgesellschaft nötig ist.

Disclaimer: Alles was ich hier schreibe, ist ausschließlich meine Perspektive und sollte nicht als eine Wahrheit/ein abgeschlossener Meinungsbildungsprozess — sondern als ein Diskussionsbeitrag gesehen werden.

Transparenz & Arbeit

Wenn ich mit Menschen in Bundesministerien darüber spreche, womit sie ihre Arbeitszeit verbringen und insbesondere, auf welche Arbeiten sie am ehesten verzichten wollen würden, höre ich fast immer als ersten Punkt “natürlich all die Anfragen”. Gemeint sind hier in der Bundesverwaltung nicht nur die kleinen und großen Anfragen des Parlamentes, sondern auch Bürger*innen-Anfragen, Presseanfragen und natürlich auch Anfragen von Bürger*innen, die ihr Auskunftsrecht im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetz wahrnehmen wollen.

Diese Anfragen kommen häufig unverhofft und genau dann, wenn sowieso viel zu tun ist. Dazu müssen sie vielleicht sofort bearbeitet werden, weil die Frist quasi abgelaufen ist, und nicht selten machen sie richtig viel Arbeit. Wenn ich auf Dauer so arbeiten müsste — nie zu wissen, was ich im restlichen Verlauf der Woche noch schaffen kann und ständig aus meiner Arbeit herausgerissen werde, weil die AFD mal wieder etwas wissen möchte, von dem man bis zu dem Moment noch nicht dachte, dass jemand so ahnungslos — pardon, ich meinte so ein Nazi — sein könnte, diese Fragen überhaupt zu stellen — ich würde durchdrehen.

All diese Fragen — egal ob sehr intelligente oder eher unkluge — sind aber sehr sehr wichtig, weil sie momentan der einzige offizielle Weg sind, als Bürgerin, — aber auch als Abgeordnete in einem Parlament — Transparenz über die Arbeit der Verwaltung zu bekommen.

Als nächsten Punkt wurden mir oft all die internen Schleifen, die alle möglichen Vorgänge in der Bundesverwaltung nunmal so gehen, genannt. Intern auch öfter mal “die Leiter” genannt. Also der Prozess, den Arbeitsergebnisse (z.B. Gesetzesentwürfe aus den Ministerien) einer Referentin durchlaufen müssen, um bei ihren Empfängern anzukommen. Bei Gesetzesvorlagen in der Regel: Referatsleiter*in -> Unterabteilungsleiter*in -> Staatsminister*in -> Minister*in -> Parlament und wieder zurück. Diese Leiter führt zu vielen Rückfragen und “Detailänderungen” an Arbeitsergebnissen von Referent*innen.

Diese Schleifen haben natürlich einerseits, wie auch auf der Arbeitsebene oft betont wird, eine “Schutzfunktion” für einzelne Referent*innen und unterstützen das Vielaugenprinzip, welches die Demokratie schützen soll. Andererseits aber führen sie dazu, dass Ideen von einzelnen Refernt*innen gerne in den starren, hierarchischen Strukturen zermahlen werden. Es kann dann schonmal passieren, das nach dem Stille-Post-Prinzip im Parlament etwas komplett anderes ankommt, als das, was sich irgendwann einmal ein*e Refernt*in ausgedacht hat. Denn in einer politischen Organisation hat natürlich auch u.U. jede*r Mitzeichner*in seine/ihre eigene politische Position zu einem Vorgang.

Die Bundesministerien, von denen ich mehr mitbekommen habe, sind heute aus einer hierarchieschen Perspektive noch so aufgebaut, wie ich es selbst in der Wirtschaft nur aus Erzählungen kannte , aber trotz meiner Erfahrung in einigen Konzernen , so noch nie in der Realität gesehen habe. Ich würde sogar soweit gehen, dass es sich bisher meiner Vorstellungskraft entzogen hat, dass wirklich jemand denkt, diese Art des Arbeitens könnte irgendwie sinnvoll sein. Insbesondere geht es mir dabei um die folgenden zwei Bereiche:

  • die formalen Hierarchien in den Häusern, die jedes Arbeitsergebnis — sofern es irgendwann mal im Parlament landen soll — durchlaufen muss
  • die Hierarchie nach Bildungsabschlüssen — nur Menschen mit einem Master oder höher sind Referent*innen — und werden somit wirklich an Gesetzesentwürfen, … beteiligt. (Es gibt Ausnahmen, die dann aber immer als solche hervorgehoben werden: “Es gibt auch gute Sachbearbeiter*innen, die würde ich da auch gerne mal draufschauen lassen”)

Die Hierarchien müssen weg.

Neue Arbeit bedeutet mehr Freiheit für die einzelnen Arbeiter*innen und das Auflösen klassischer Hierarchien, um so die Kreativität und Selbstbestimmung der Arbeiter*innen zu fördern. Im Rahmen der neuen Arbeit müssten die bestehenden, starren Hierarchien der Verwaltung natürlich abgebaut werden, da sonst langfristig die Prinzipien des selbstbestimmten Arbeitens wieder durch die machterhaltenden Kontrollrahmen der Ministerien zermahlen werden würde.

Mich erreichte — auf diese Aussage hin — nun vielfach die Frage, was denn dann aus den bewährten, demokratischen Prinzipien wie Vielaugenprinzip, Transparenz, … werden würde, die ja momentan vor allem durch die Hierarchien sichergestellt würden. Um dies mit einem Bergmann-Zitat zu beantworten:

„Die Informationstechnologie macht diese Hierarchien überflüssig und ersetzt sie durch effizientere und schnellere horizontale Strukturen.“

Ich glaube, dass im Rahmen der neuen Arbeit eine ganze Reihe von neuen Mechanismen und Vorgehensweisen sogar eine deutlich bessere Transparenz über Vorgänge und auch das, was aus politischen Gründen eben nicht passiert bzw. nicht passiert ist, hergestellt werden könnte. Informationstechnologien ermöglichen es, einem Staat heute jederzeit fast alle Informationen, die er möchte, seinen Bürgern zu Verfügung zu stellen. Die Transparenz- und Kontrollfunktionen der Hierarchien könnten also durch die gesamte Gesellschaft übernommen werden.

Neben der Transparenz geht es aber in hierarchischen System auch um die Übernahme von Verantwortung und die Risikominimierung. Ich glaube, auch hier gäbe es sinnvollere Mechanismen wie z.B. das Überdenken des aktuelles Prinzips der Verantwortungsübernahme eines Themas durch eine einzelne*n Referent*in. Dieses sollte durch kleine, selbstorganisierte Teams, die Themen wirklich zusammen bearbeiten, ersetzt werden. Diese Teams sollten allerdings nicht mehr nur aus den klassischen Ministerialprofilen — Jurist*innen, Politikwissenschaftler*innen, … — bestehen, sondern sie sollten eher fachübergreifender Natur sein — mit Expert*innen aus den jeweiligen Fachbereichen, für die das Team bzw. Referat verantwortlich ist. Häufig gibt es diese Personen heute schon in den Ministerien, diese sind aber in der Regel über ein externes Beratungsunternehmen oder ähnliche Konstrukte dort beschäftigt, weil das Personalwesen oft nicht die Möglichkeiten hat, diese Personen in den Ministerien selbst anzustellen.

Gleichzeitig sollte die Besetzung der zukünftigen Teams nicht mehr an formale Bildungsabschlüsse und ähnliche Kriterien gebunden sein, sondern primär darauf beruhen, ob eine mögliche*r Mitarbeiter*in über die benötigte Erfahrung und Fähigkeiten verfügt, zusammen mit dem restlichen Team die gestellten Aufgaben bearbeiten zu können. Das würde indirekt auch bedeuten, dass das jeweilig verantwortliche Team maßgeblich in die Personalentscheidungen eingebunden werden müsste — weil nur sie wissen können, was für Unterstützung sie wirklich wirklich brauchen. Ein weiterer positiver Nebeneffekt dieses Vorgehens könnte eine höhere Diversität der Teams sein, falls darauf geachtet wird. Das könnte dann dazu führen, dass durch die diversen Perspektiven der Arbeiter*innen innerhalb von Entscheidungsprozessen ein möglichst breiter Teil der Gesellschaft bedacht wird.

Durch die Teams würden von Anfang an immer direkt mehrere Menschen mit einer Aufgabe befasst und es würde bei allen Aufgaben von Anfang an das Mehraugenprinzip angewendet werden. Das kann dann Bearbeitungsschleifen mit Vorgesetzten und den Vorgesetzten der Vorgesetzten ersetzen, die heute häufig sowieso eigentlich keinen wirklich sinnvollen Prozess darstellen. Warum genau soll denn eine Vorgesetzte, die mit viel mehr unterschiedlichen Themen betraut ist als die einzelne Arbeiterin, einen Vorgang nun besser beurteilen können als die Arbeiterin selbst? In Einzelfällen mag es so sein, dass die Vorgesetzte vielleicht auch Fachexpertin im jeweiligen Themenfeld der Arbeiterin ist , aber warum wird sie dann formal erst mit der Arbeit der Arbeiterin betraut, wenn diese ihre Arbeit erledigt hat? Wäre es dann nicht viel besser, wenn sie direkt zusammenarbeiten würden?

Letztendlich wären durch teambasierte Arbeiten — neben Transparenz ggü. der Gesellschaft — viel flachere Hierarchien möglich und es würden auf dem Weg zwischen Bundesverwaltung und Parlament weniger gute Ideen verlorengehen. Aber es hat vor allem auf die einzelne Arbeiterin die Auswirkung, dass sie auf einmal mit ihrer Arbeit deutlich mehr bewirken kann und sichtbarer wird. Sie muss nicht mehr jahrelang ihrem Chef zuarbeiten, um mit ihren guten Ideen Einfluss zu gewinnen.

Transparenz gegenüber der Gesellschaft

Wie am Anfang beschrieben, hat die Gesellschaft nach Informationsfreiheitsgesetz heute in der Regel nur die Möglichkeit, über das Mittel einer Anfrage an interne Informationen der Verwaltung zu gelangen. Das ist häufig ein sehr langwieriger Prozess und führt in sehr sehr vielen Fällen nicht dazu, dass die für die Gesellschaft oft sehr wichtige Information — aufgrund absurder Begründungen — nicht durch die Verwaltung veröffentlicht werden. Alle anderen Methoden außer Anfragen nach IFG wie z.B. Bürger*innen- oder Presseanfragen haben keine Rechtsgrundlage und müssen deswegen auch nicht beantwortet werden.

Ich glaube, der bürger*innenzentrierte Weg als Ministerium transparent zu Arbeiten wäre, das standardmäßig alles veröffentlicht wird, was auch heute schon veraktet wird. Das ließe sich dank Technologien wie Machine Learning zum halbautomatischen Schwärzen von Dokumenten meiner Meinung nach mit relativ wenig Aufwand lösen. Jedes Mal wenn ich als Arbeiterin im Ministerium etwas verakte, bekomme ich zusätzlich eine geschwärzte Version des Dokuments angezeigt und kann es dann mit einem Klick veröffentlichen oder mit einer konkreten (und öffentlich einsehbaren) Begründung die Veröffentlichung verhindern.

Das würde dann auch bedeuten, dass jeder Vorgang standardmäßig für jede*n Bürger*in und insbesondere für Journalist*innen möglichst schnell einsehbar wäre. Ich glaube, das würde eine bessere Bürger*innenbeteiligung ermöglichen und das Vertrauen in die Bundesverwaltung signifikant erhöhen. Gleichzeitig wäre es viel schwieriger, unser demokratisches System zu missbrauchen und Gesetze von der Bevölkerung unbemerkt zu beschließen, weil die Entwürfe bereits frühzeitig öffentlich wären. Aber vor allem: Dadurch, dass ein Vorgang gleich von der gesamten Gesellschaft eingesehen werden kann, bevor er im Parlament beschlossen wurde, könnte auf die formalen Hierarchien aus Perspektive des Vielaugenprinzips der Ministerien weitestgehend verzichtet werden. Das bedeutet nicht, dass nicht weiterhin verschiedene Fachexpert*innen Dokumente gegenlesen sollten, sondern nur, dass die Überprüfung durch Vorgesetzte überflüssig wäre.

Der Aufwand, der im Rahmen eines solchen Transparenzgesetzes entstehen würde, wird gegenüber dem heutigen Informationsfreiheitsgesetzes teilweise sogar als niedriger angesehen, weil nachdem die Prozesse zur Veröffentlichung einmal aufgesetzt sind, ein sehr großer Teil der IFG und Bürger*innenanfragen nicht mehr gestellt werden müssten. Und falls Bürger*innen die benötigten Informationen nicht finden, muss die Anfrage nicht mehr von den heute zuständigen Facharbeiter*innen beantwortet werden, sonder eine zentrale Stelle könnte die Bürger*innnen auf die angefragten Informationen verweisen.

“Aber wir werden doch für jeden Fehler von der Gesellschaft kritisiert!”

Immer wieder, wenn ich in den letzten Monaten in Ministerien vorschlug, einzelne Informationen oder Prozesse der Gesellschaft zugänglich zu machen, wurde das mit Argumenten wie “Aber das können wir nur machen, wenn da etwas Gutes rauskommt” oder “Am Ende werden wir dafür eh nur kritisiert” abgetan. Das ist natürlich ein Punkt, der nicht völlig von der Hand zu weisen ist. Wenn ein Ministerium einen Fehler macht und dieser dann in der Regel erst durch investigativen Journalismus sichtbar wird, dann wird der Staat bzw. seine Vertreter*innen dafür auch zurecht kritisiert.

Wenn solche Fehler nun ständig auftauchen und bei diesen häufig aufgrund der mangelnden Transparenz nicht einmal sichtbar ist, wie es zu diesen Fehlern überhaupt kommen konnte — also der Fehler eigentlich für Bürger*innen nicht nachvollziehbar ist — wie soll die Gesellschaft auf diesen Fehler reagieren, außer massiv zu kritisieren? Und vor allem: Wie sollen die Ministerien als lernende Organisationen von ihren eigenen Fehlern profitieren, wenn diese nicht für möglichst viele Arbeiter*innen nachvollziehbar sind?

Ich glaube, eine bessere Fehlerkultur kann nur durch die Transparenz staatlichen Handelns etabliert werden. Das bedeutet aber nicht nur, dass Fehler nicht mehr vertuscht werden sollten, sondern diese ganz im Gegenteil proaktiv kommuniziert werden müssten. Und Politiker*innen, die denken, es sei eine gute Idee, Gesetze an den Bürger*innen vorbei einzuführen, sollten dafür noch mehr als heute geächtet werden und im besten Fall dadurch ihr Amt als Vertre*in der Bürger*innen verlieren.

Gleichzeitig glaube ich aber auch, wenn Fehler passieren und diese für die Gesellschaft nachvollziehbar sind, dass dann zumindest langfristig auch in Medien und Gesellschaft ein anderer Umgang mit diesen gefunden werden könnte. Es würde auch klar werden, dass in der Verwaltung nicht überall Fachexpert*innen für die jeweiligen Themen sitzen und das könnte der breiten Zivilgesellschaft ermöglichen, der Verwaltung zu helfen, komplexe Themengebiete besser zu verstehen und somit besser Entscheidungen zu treffen.

Positive Nebeneffekte

Natürlich wären in einem transparenten Staat nicht nur alle relevanten (und nicht auf eine*n einzelne*n Bürger*in bezogenen) Dokumente öffentlich, sondern auch alle Datenbanken, die mit Steuergeldern entstehen. Heute ist noch nicht einmal das Kartenmaterial Deutschlands frei verfügbar, allerdings konnten große internationale Konzerne es selbstverständlich zu einem hervorragenden Preis erwerben. Oder der Bundesanzeiger, in dem Kapitalgesellschaften ihre Jahresabschlüsse veröffentlichen müssen, wurde vor über einem Jahrzehnt privatisiert, weshalb die Daten darin nicht offen verfügbar sind. All das ist auf eine ziemlich absurde Art auch witzig, weil diese Daten nämlich sogar für die deutsche Wirtschaft unglaublich interessant wären und deswegen selbst aus einer neoliberalen Perspektive offen verfügbar sein sollten. Man sieht daran, dass unsere sonst so auf die Wirtschaft bedachte Regierung so wenig Verständnis von diesem gesamten Themenkomplex hat, dass sie nicht einmal den Wert dieser Daten für Gesellschaft und Wirtschaft begreift. Denn ansonsten könnte man ihr ja wirklich nur Böswilligkeit und die Monopolförderung vorwerfen , weil weiterhin einige wenige Akteure auch heute Zugang zu den Daten haben.

Ein weiteres Problem der Verwaltung ist der in den nächsten Jahren stärker werdende Wissensverlust durch den demografischen Wandel. Oder anders gesagt: Die Boomer gehen in Rente und nehmen ihr Wissen mit. Diese Situation wird auch dadurch nicht besser, dass das Konzept von Wissensmanagementsystemen (ich meine sowas wie ein Wiki) — insbesondere über mehrere Ministerien hinweg — quasi nicht existiert und soweit ich es beobachten kann, auch nicht wirklich daran gearbeitet wird. Es gibt also auch keinen Ort, wo das Boomerwissen gesammelt werden könnte.

Ich gehe sogar soweit zu behaupten, dass die größte behördenübergreifende Informationsdatenbank momentan der Onlinedienst Fragdenstaat.de ist. Eine Plattform, die es Bürger*innen ermöglicht, Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz zu stellen und die aus den Anfragen gewonnen Dokumente dann zu veröffentlichen. Dabei sind alle Informationen selbstverständlich gut durchsuchbar und über eine Programmierschnittstelle für die Weiterverarbeitung zugänglich. Solche Plattformen gibt es außerdem noch für Anfragen in den Parlamenten (kleine Anfrage) und für alle Gesetze (offene Gesetze) — natürlich alles aus der Hand der Zivilgesellschaft. Anstatt dass solche Konzepte aber von einem transparenten Staat gefördert werden würden, werden sie aktiv öffentlich abgelehnt, wie z.B. das BMI es in einer Verhandlung vor dem Oberlandesgericht Berlin getan hat „Durch Portale wie FragDenStaat gelangen immer mehr Dinge an die Öffentlichkeit. Das ist eine Entwicklung, die für die Verwaltung nicht wünschenswert ist“.

Ein weiter Weg

Wenn wir nun die politische Position unserer Regierungsparteien betrachten, werden wir feststellen, dass das Konzept der Transparenz dort anscheinend nicht gerade beliebt ist. Wir leben heute mit einem Innenminister, der mit Aussagen wie “Man muss Gesetze kompliziert machen, dann fällt das nicht so auf” das Vertuschen seiner Bürgerrechtseinschränkungen an den Augen der Gesellschaft, des Bundesdatenschutzbeauftragten, … vorbei begründet und das allem Anschein nach auch für richtig hält. Und wir leben heute in einem Land mit einem Bundesverkehrsminister, der versucht, im Hinterzimmer die Schiffssicherheitsverordnung so zu verändern, dass private Seenotrettung behindert wird und dadurch noch mehr Menschen als heute auf dem Mittelmeer sterben. Das Gute allerdings ist: Wir als Gesellschaft wissen das jetzt alles und können uns wehren. Das haben wir insbesondere Akteuren wie Fragdenstaat und natürlich dem IFG zu verdanken. Transparenz schützt unsere Demokratie vor Faschismus und kann manchmal vielleicht auch Menschenleben retten - deswegen brauchen wir mehr davon.

Trotz der heute herrschenden Intransparenz gibt es allerdings einen regelrechten Trend zu immer mehr Marketing der Ministerien. So ist zu beobachten, dass von einigen Ministerien — teilweise vielfach täglich — Pressemitteilungen veröffentlicht werden. Außerdem wird fleißig getwittert und einer (oder sogar mehrere) von Agenturen betreuten Instagram-Accounts befüllt. Diese Medien werden allerdings in der Regel als Marketinginstrumente der Bundesministerien und insbesondere ihrer Minister*innen selbst verwendet und sind somit der Transparenz der Arbeit eher nicht zuträglich. Ich finde das Ausmaß, in dem einige Ministerien (insbesondere das BMG und BMVI) mit ihrer Socialmedia-Arbeit Bürger*innennähe simulieren, geradezu bedenklich, weil es sich bei den angebotenen Formate eben nicht um Journalismus, sondern um Marketing handelt. Ein anderer Interessanter Trend ist die Umsetzung von Marketingprojekten — wie z.B. die Website des BMIs mit all ihren tollen Visualisierungen — die dann als Transparenz dargestellt werden. Datenvisualisierungen sind natürlich etwas Tolles, wenn es aber um offene Daten geht, sind sie aber eher eine Hilfestellung zum Lesen von öffentlich zugänglichen Originaldokumenten — und nicht wie das heute häufiger passiert- , die der Transparenz halber öffentlich sein müssten — und auf keinen Fall können aggregierte Darstellungen die Dokumente und Datensätze selbst ersetzen.

Fazit

Unsere repräsentative Demokratie ist darauf ausgelegt, dass Fachexpert*innen in den Ministerien die Politik beraten und die Politiker*innen dann Entscheidungen für die Gesellschaft treffen. Politiker*innen sind keine Fachexpert*innen in all ihren Ressorts — sollen sie auch gar nicht sein — deswegen werden sie ja von der Verwaltung beraten. Wenn jemand beraten wird, dann kann man ihn aber natürlich auch steuern, z.B. indem man ihm bestimmte Informationen gibt oder vorenthält. Wenn dazukommt, dass die Ministerien mit dem gesellschaftlichen Wandel strukturell bedingt aber nicht mehr Schritt halten können und deswegen die Politik falsch beraten, dann kann man vermutlich nicht mal von einer bewussten Steuerung sprechen, sondern dann funktioniert einfach das gesamte Prinzip nicht mehr oder hat vielleicht sogar noch nie funktioniert. Ich gehe außerdem davon aus, dass das Problem der politischen Steuerung durch die heutigen hierarchischen Strukturen sogar noch verstärkt wird — und das wiederum im Grunde ein systemimmanentes Problem ist.

Wenn nun all die Prozesse der Verwaltung — insbesondere die politischen Beratungsprozesse — aber transparent werden würden, dann könnte die gesamte Gesellschaft diese nachverfolgen und verstehen, sich eine eigene Meinung bilden und vielleicht auch die Politik beraten — bzw sich besser gegen aus ihrer Sicht schlechte Gesetzesvorschläge positionieren.

Desweiteren glaube ich, dass der Staat in unserer Demokratie die Aufgabe hat, die Beantwortung von kritischen Fragen, die ihn selbst betreffen, zu fördern und nicht zu behindern. Und wie ich hoffentlich aufgezeigt habe, könnten wir als Gesellschaft von der Transparenz in der Verwaltung alle profitieren:

  • die Verwaltung kann sich selbst viel Arbeit sparen und aus vergangenen Fehlern lernen
  • die Bürger*innen könnten mehr Vertrauen in die Verwaltung und den Politikbetrieb gewinnen
  • die Politik: mehr und bessere Ideen kommen in den Parlamenten an, die Zivilgesellschaft kann sie besser unterstützen

Alle? OK, vielleicht Lobbyist*innen, menschenfeindliche Parteien und Geheimdienste nicht. Aber das wollen wir als Gesellschaft vielleicht auch.

Transparenz macht nicht nur die Demokratie und ihre Entscheidungen besser, sondern durch die eingesparte Arbeit wird es auch möglich, dass mehr Arbeiter*innen sich um das kümmern können, was wirklich wirklich wichtig ist — für die Bürger*innen und sich selbst. Sie eröffnet außerdem die Möglichkeit, verfestigte Hierachien und heutige Regeln der Bürokratie aufzubrechen, denn die von Weber definierten Regeln passen meiner Meinung nach nichtmehr in unser digitales Zeitalter.

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